Vergessen Sie’s.
QM und perfekt geht nicht zusammen.
Sie haben die Arbeitsanweisung gerade eben druckfrisch freigegeben, die Tinte ihrer Unterschrift – so sie überhaupt noch „wet-signed“ erfolgt – ist noch nicht getrocknet … und ihr Dokument ist bereits veraltet. Irgendeinen Tippfehler finden Sie bei näherer Betrachtung bestimmt. Irgendwo wird gerade auf einer Messe die Maschine vorgestellt, die ihren Arbeitsprozess revolutioniert. Die Unternehmensführung hat gerade drei Positionen gestrichen und zu einer zusammengefasst. Die Schlüsselposition im Prozess kündigt unverhofft und kann nicht kurzfristig neu besetzt werden.
Die Gründe müssen ja nicht so drastisch sein wie beschrieben und wegen eines (wichtig: nicht essenziellen) Tippfehlers brauchen Sie auch das Dokument nicht neu freizugeben, aber auch das ist die Essenz des QMs: das Leben mit kleineren oder größeren Unperfektheiten.
QM ist immer auch ein Abwägen zwischen dem Detailgrad und der Fehlertoleranz. Muss der Prozess penibel ausgeführt werden – und nehme ich die (unter Umständen zahl- oder umfangreiche) Dokumentation von Abweichungen in Kauf – oder kann mein Prozess eine gewisse Bandbreite an Ausführungsvarianten verkraften?
Und auch der perfekt beschriebene und dokumentierte Prozess wird Fehler produzieren. Sei es durch materielle Defekte (Verschleiß der Produktionsmaschine) oder durch, wie es so schön heißt, „Menschliches Versagen“. Die ideale, weil fehlerfreie heile Welt ist Utopie (und für sich genommen ganz schön langweilig). Und das ist auch gut so.
Denn obwohl Prozesse absolut sicher sein müssen, um z.B. sichere Arznei- und Lebensmittel herzustellen, zu verpacken und zu transportieren, werden wir immer auch das Verwerfen von Chargen an Produkten – hoffentlich frühzeitig bereits in oder kurz nach der Produktion und nicht erst durch Rückruf vom Kunden, nachdem Unfälle und Verletzungen entstanden sind – in Kauf nehmen müssen. Denn der Mensch lernt am Nachhaltigsten aus selbst gemachten Fehlern. Je idiotensicherer ein Prozess läuft, umso mehr schneiden wir uns von unserem größten Lernpotential ab.